Als wir 2019 das erste Gebäude unserer Hofanlage übernahmen, war der Garten zur Straße hin verwahrlost. Der Vorbesitzer, ein älterer Herr, hatte den alten Schuppen und das ehemalige Dorfbackhaus zwar nach seinen Möglichkeiten liebevoll saniert, er war zum Zeitpunkt unseres Einzugs jedoch bereits seit einer Weile verstorben und konnte sich auch in den Jahren vor seinem Tod nur noch begrenzt um die Außenanlage kümmern. Die Natur hatte dementsprechend bereits größere Bereiche des Hofes zurückerobert, so dass an mehreren Stellen des Vorgartens wenig ansehnliche Kräuter und Gehölze wucherten. Daneben fand sich einiges an Bauschutt auf dem Grundstück. Unmittelbar nach der Fertigstellung der Kernsanierung des Wohngebäudes begannen wir deshalb mit der Pflege und Umgestaltung des Gartens.
Vor dem Haus waren bereits zwei Beete angelegt und mit Pflanzen bestückt worden. Einige dieser Pflanzen, zum Beispiel mehrere Rosenstöcke, eine Buchsbaumkugel, ein Kirschlorbeer, eine Eibe und ein japanischer Ahorn waren bereits gut angewachsen und hatten über die Jahre eine stattliche Größe erreicht. Auch wenn diese Zusammenstellung bei einer Neuanlage nicht unsere erste Wahl gewesen wären, entschieden wir uns dafür, sie zu erhalten. Andere Pflanzen wiederum, etwa überhandnehmende Lilienzwiebeln, ein verholzter Lavendel oder undefinierbares Gestrüpp mussten weichen, um Platz für einen Pfad aus Natursteinpflaster sowie neue Stauden und Gehölze zu schaffen.
Neben einem kleinen Wasserspiel wünschten wir uns für den Vorgarten noch einen hübschen Solitär. Im Zuge unserer Recherchen verliebten wir uns in die wunderschönen Blüten der Magnolie und wägten insofern sorgfältig ab, ob sie für eine Pflanzung in Frage kommen könnte. Unser Haus steht im Sonnenhang, so dass es während der Sommermonate im Vorgarten brechend heiß werden kann. Dennoch ist das Klima im Kylltal tendenziell kälter und rauer als in anderen Gegenden von Deutschland, so dass wir im Frühjahr meist mit allem etwas später an sind und es vergleichsweise lange dauert, bis kein Frost mehr zu erwarten ist. Nun blühen Magnolien in der Regel recht früh, weshalb sich die malerischen Blüten oft nach einer frostigen Nacht schon bald wieder verabschieden. Außerdem wachsen Magnolien langsam, so dass es im Falle einer Neupflanzung viele Jahre gedauert hätte, bis sich daraus ein beachtliches Solitärgehölz entwickelt. Da die Magnolie es nun aber geschafft hatte, uns den Kopf zu verdrehen, suchten wir weiter nach einer Lösung.
Auf Gebrauchtwarenportalen hielten wir Ausschau nach älteren Exemplaren – und wurden fündig. Ein junges Paar hatte eine Immobilie erworben und beabsichtigte, den dazugehörigen Garten umzugestalten. Vor dem Haus stand ein beeindruckend schön gewachsener Magnolienbaum, der im Frühjahr des Folgejahres gefällt werden sollte, sofern sich niemand findet, der ihn ausgräbt und umpflanzt. Diese Magnolie war zum damaligen Zeitpunkt etwa zwanzig Jahre alt. Sowohl von ihrer Wuchsform als auch von der Größe her schien sie für unseren Vorgarten perfekt geeignet zu sein.
Da wir über keinerlei Erfahrungen mit dem Umpflanzen solch alter Magnolienbäume verfügten, zogen wir das Internet zu Rate. Die dortigen Prognosen waren ernüchternd bis entmutigend. Magnolien seien Diven, hieß es, die Standortwechsel gar nicht leiden können. Man müsse damit rechnen, dass nach einer Umpflanzung die Blüte für mehrere Jahre ausbleibt – falls der Baum überhaupt anwächst. Doch was hatten wir zu verlieren? Die besagte Magnolie war ohnehin dem Tod geweiht, sie hatte aus unserer Sicht zumindest die Chance verdient, sich in unserem Vorgarten zu etablieren. Das finanzielle Risiko hielt sich auch in Grenzen, da der Baum in der Anzeige als Geschenk angeboten wurde. Wir würden also das Geld für Benzin und Pflanzerde sowie einen Tag an Arbeitszeit investieren. Selbst im Falle des Scheiterns wären wir jedoch um einige Erfahrungen reicher, weshalb wir beschlossen, den Versuch zu wagen.





Im ersten Schritt galt es die zukünftige Pflanzstelle vorzubereiten. Hierfür legten wir einen Pfad aus Natursteinen an, dessen Randsteine zugleich als Beeteinfassung für den neuen Standort der Magnolie dienten. Mithilfe unseres Minibaggers hob Reinhard für den Baum ein Pflanzloch aus, das etwa 80 bis 100cm tief war und über einen Durchmesser von etwa 180 bis 200cm verfügte. Magnolien sind Flachwurzler und benötigen daher genügend Platz in der Breite, dürfen aber nicht zu tief gesetzt werden. Da der Boden auf unserem Grundstück üblicherweise schwer und lehmhaltig ist, Magnolien aber lockeren und leicht sauren Boden bevorzugen, beschlossen wir, das Loch mit hochwertiger Rhododendron-Erde aufzufüllen, um für sie nach der Pflanzung die bestmöglichen Startbedingungen zu schaffen. Außerdem besorgten wir Rindenmulch zum Schutz des in Mitleidenschaft gezogenen Wurzelwerks.
Anfang März 2021 war es dann so weit: wir brachen auf, um die Magnolie abzuholen. Den Minibagger transportierten wir auf dem Anhänger. Unser Fahrzeug bestückten wir mit allerlei Werkzeug, das uns zum Ausgraben nützlich erschien. Dazu gehörten neben Schaufeln und Spitzhacken auch Sägen und Baumscheren, denn die Magnolie hatte um diese Jahreszeit bereits unzählige Blütenknospen ausgebildet. Damit war gesetzt, dass wir sie schneiden müssen, weil sie andernfalls aufgrund der unvermeidbaren Beschädigungen ihrer Wurzeln keine Chance gehabt hätte, diese Prozedur zu überleben. Die Blüten hätten nach zu viel Wasser verlangt, der Baum wäre verdurstet.
Wir hatten gelesen, dass Magnolien am harmonischsten wachsen, wenn man sie in Ruhe lässt und auf den Schnitt verzichtet. Dies war aufgrund der gegebenen Situation nicht nur unmöglich – wir konnten auch keine besondere Rücksicht auf Schnittempfehlungen legen, weil wir für das Überleben des Baumes erstens die Blütenknospen abschneiden und zweitens die Kronengröße an die verbleibende Wurzelballengröße anpassen mussten.
Unser Plan sah vor, dass Reinhard mit dem Minibagger zunächst die Erde um das Wurzelgeflecht großflächig aushebt. Für die Wasserversorgung des Baumes sind vor allem die dünnen Kapillarwurzeln von entscheidender Bedeutung. Wir nahmen uns daher vor, so viele der feinen Wurzeln wie möglich zu erhalten. Während Reinhard baggerte, führte Tanja den Schnitt durch. Das Paar, in dessen Garten die Magnolie stand, hatte bereits im Vorfeld angeboten, uns beim Ausgraben zu unterstützen. Für ihre Unterstützung sind wir bis heute dankbar, denn auch wenn wir den groben Aushub mit dem Bagger durchführen konnten, waren anschließend noch Handarbeit und Muskelkraft gefragt. Es dauerte mehrere Stunden, bis wir den Baum schließlich aus dem Beet gehoben und auf den Anhänger verladen hatten.
Erleichtert setzten wir die Magnolie noch am selben Abend an den für sie vorgesehenen Platz im Vorgarten, betteten ihre geschundenen Wurzeln in die Rhododendron-Erde und bedeckten sie anschließend mit einer etwa zehn Zentimeter dicken Schicht an Rindenmulch. Zusätzlich schützten wir den Stamm mit Bastmatten vor Kälte- und Hitzeeinwirkung. Doch damit war die Präparierung des Standorts noch nicht abgeschlossen und es lässt sich auch nicht hinreichend verstehen, warum die Magnolie so zügig und erfolgreich anwachsen konnte.
Wie bereits erwähnt, liegt unser Grundstück im Hang. Wenn die Temperaturen abends herunterkühlen, sinkt die kalte Luft zu Boden und fließt bzw. strömt den Hang hinunter. Diese kalte Zugluft, die bisweilen Kahlfröste mit sich bringt, wäre nach der Platzierung im neuen Beet genau über die empfindlichen Wurzeln der Magnolie gezogen. Aus diesem Grund installierten wir einen Windbrecher in Form einer geschwungenen Trockenmauer hinter der Magnolie. Die von oben herabströmende, kalte Luft wird durch diese Mauer umgeleitet. Die windbrechende Trockenmauer erfüllt zudem den Zweck einer Einhausung des Wasserspiels, welches wir im Vorgarten installiert haben und das nicht nur hübsch anzuschauen ist, sondern auch Vögeln und Insekten als Wasserquelle dient.
Da sich auf der angrenzenden Seite der Magnolie bereits eine weitere Bruchsteinmauer befand, steht das malerische Blütengehölz an einem windgeschützten aber sonnigen Standort, was den idealen Bedingungen entspricht. Unterstützend kommt hinzu, dass die Magnolie an ihrem vorherigen Standort keine optimale Bedingungen vorfand: sie stand die meiste Zeit des Tages im Schatten, direkt an ein Feld angrenzend, wo mit Sicherheit auch stärkere Winde über den Boden zogen. Der Umzug nach Hüttingen an der Kyll bescherte der gestandenen Lady trotz einiger Strapazen also letztlich eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Dies scheint ihr zu behagen, denn sie beschenkt uns seither jedes Jahr mit ihrer purpurfarbenen Blütenpracht.




