Hinter den Birnbäumen links

Bruchsteine werden in unserer Region seit Hunderten von Jahren als Baumaterial genutzt. Nicht bloß Gebäudehüllen wurden daraus errichtet, auch das Aufsetzen von Trockenmauern bzw. Bruchsteinterrassen hat hier eine lange Tradition. Da es früher nicht problemlos möglich war, mit schweren Gütern weite Transportstrecken zurückzulegen, wurde beim Bauen in der Regel das nahe gelegenste Material verwendet. Das Gestein unterscheidet sich dabei je nach Fundort mitunter immens, etwa hinsichtlich seiner Farbe und Dichte. In Hüttingen an der Kyll wurde heller Kalk-Sandstein von guter Qualität verarbeitet. In den unmittelbar angrenzenden Wäldern finden sich bis heute zahlreiche Spuren stillgelegter Steinbrüche.

Die Tradition der trocken aufgesetzten Bruchsteinmauern, welche seit Generationen das Landschaftsbild dieser Gegend prägen, führen wir in unserem Garten fort. Bisher konnten wir für den Bau der Trockenmauern dabei auf Steine zurückgreifen, die sich bereits auf dem Gelände befanden. Für zukünftige Projekte, zum Beispiel die Terrassierung des im Hang liegenden Nutzgartengrundstücks, wird es jedoch unabdingbar sein, Bruchsteine zuzukaufen.

Vor diesem Hintergrund begab Reinhard sich also auf die Suche nach einem geeigneten Steinbruch – zunächst ohne Erfolg. Denn seine Recherchen ergaben, dass die meisten der lokalen Steinbrüche mittlerweile von Unternehmen aus dem Ausland übernommen worden sind und darin bloß noch riesige Quader aus dem Felsen gebrochen werden, die viel zu groß sind, um sie im eigenen Garten weiterverarbeiten zu können. Diese gigantischen Gesteinsbrocken werden ins Ausland transportiert, dort erst weiterverarbeitet und anschließend mit einem preislichen Aufschlag verkauft. Da ein solches Vorgehen nicht unserer Vorstellung von einem ökologischen Umgang mit Ressourcen entspricht und wir glücklicherweise nicht unter Zeitdruck stehen, suchte Reinhard weiter. Zum Glück, denn sonst hätten wir womöglich den hier vorgestellten, wunderschönen Steinbruch und die Ideen seines Eigentümers zu nachhaltigem Wirtschaften nie entdeckt.

Da dieser Steinbruch nicht ausgeschildert ist und auch keine Werbung dafür gemacht wird, war es eine Herausforderung, ihn zu finden. Ein freundlicher Mensch aus dem Dorf gab uns schließlich den ausschlaggebenden Hinweis, indem er sowohl den ungefähren Standort als auch den Namen des Besitzers zu nennen wusste. Als Reinhard diesen beim ersten Telefonat fragte, wie er denn zum Steinbruch gelangen könne, wenn es nirgends eine Beschilderung gibt, erhielt er als Antwort eine kurze geographische Beschreibung zur Dorfausfahrtsrichtung mit der präzisierenden Bemerkung: „…und dann hinter den Birnbäumen links.“ Dort, verborgen hinter den Birnbäumen links, fanden wir nicht bloß einen außergewöhnlichen Ort, sondern ebenso außergewöhnliche Menschen.

Auch dem Eigentümer dieses Steinbruchs wurde eine Menge Geld für seine Anlage angeboten – doch er hat abgelehnt. Denn er geht davon aus, dass nach dem Verkauf des Grundstücks der Stein nahezu ausschließlich und quasi im Akkord zu Schotter verarbeitet werden würde, um vorwiegend im Straßenbau eingesetzt zu werden und auf diesem Weg die schnelle Mark zu machen. Das wolle er nicht, dafür sei der Stein zu kostbar.

Dass es in diesem Steinbruch tatsächlich nicht in erster Linie ums Geld geht, wird spürbar, sobald man einen Augenblick innehält und die Atmosphäre auf sich einwirken lässt. Die Umgebung wirkt unsagbar ruhig und friedlich. Ganz ohne Hektik und Druck gehen die Beteiligten ihrer Arbeit nach. Neben dem Besitzer, einem älteren Herrn, arbeitet noch ein junger Mann dort. Ihr Umgang miteinander erscheint vertraut, fast wie zwischen Vater und Sohn. Als Büro und Ruheraum dient ihnen ein altes Wohnmobil. In einer der Gruben hat sich Wasser zu einem Naturteich geformt. Darin leben unter anderem zahlreiche Stockenten, deren Bestand als rückläufig gilt. Am helllichten Tag konnten wir auf dem Gelände sowohl Füchse als auch Hasen antreffen. Mit Glanz in den Augen berichteten die beiden, dass sie während der Sommermonate auch Falken aus der Nähe beobachten können.

Mitten in diesem Biotop stehen kolossale Maschinen und unterstützen die Menschen dabei, den Kalk-Sandstein abzutragen. Diese Kolosse wirken surreal, indem sie fremd und zugehörig zugleich erscheinen. Sie fügen sich ein in eine Form der Ordnung, die sie – von Menschenhand geführt – mit geschaffen haben. Zugleich muten sie wild und ungestüm an, wie die raue und karge Natur, die sie umgibt.

Wenngleich in diesem Steinbruch natürliche Rohstoffe abgebaut werden, geschieht dies mit Weitblick und im Bestreben, ein Gleichgewicht zu schaffen, welches die Bedürfnisse von Mensch, Tier und Umwelt berücksichtigt. So lässt der Eigentümer etwa von örtlichen Landwirten seine ungenutzten, direkt an den Steinbruch angrenzenden Felder bestellen, obwohl diese aufgrund der schlechten Bodenqualität keinen nennenswerten Ertrag abwerfen. Maispflanzen bieten somit beispielsweise Wildschweinen einen Unterschlupf, ohne dass diese getötet werden, weil sie andernorts wertvolle Ernten zerstören. Eine weitere Strategie zur Vermeidung von Raubbau an der Natur kann hier auch darin gesehen werden, dem Prinzip der Gewinnmaximierung den Rücken zu kehren und das Unternehmenswachstum willentlich zu drosseln. Selbst unter Zuhilfenahme von Maschinen lässt sich der Felsen mit zwei Mann nur langsam abtragen, so dass der Natur die Möglichkeit zur Regeneration eingeräumt wird und dadurch ausreichend Lebensraum für Tiere erhalten bleibt bzw. entstehen kann. Und schließlich, so meinen wir, wirkt diese Philosophie der Bescheidenheit und Rücksichtnahme wie ein Bumerang, indem sie auch die Zufriedenheit derjenigen Menschen erhöht, die sie leben.

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