Eine Trockenmauer als Hangbefestigung

Die meisten Häuser im verträumten Hüttingen an der Kyll stehen im Sonnenhang des Kylltals – so auch unseres. Das Bauen in Hanglage ist in der Regel mit besonderen Herausforderungen verbunden, etwa in Bezug auf die Statik oder die Geländesicherung. Neubauten, die auf einem Hanggrundstück errichtet werden, das für Maschinen aller Art frei zugänglich ist, lassen sich technisch meist problemlos umsetzen, auch wenn die Bewältigung des schwierigen Geländes mitunter ein erheblicher Kostenfaktor sein kann. Besonders problematisch wird es allerdings, wenn der Hang hinter einem bestehenden Bauwerk eingefallen ist und die Platzverhältnisse zugleich so beengt sind, dass größere Maschinen dort nicht zum Einsatz gebracht werden können. Letztgenanntes entspricht der Ausgangslage, die wir vorfanden, als wir 2019 die Immobilie kauften.

Hinter dem Haus war eine ursprünglich knapp drei Meter hohe Trockenmauer eingefallen, die zuvor sicherlich über viele Jahre dem Druck des Hangs standgehalten hatte. Wind und Regen taten ihr Übriges dazu, so dass neben den abgestürzten Natursteinen auch Erdrutsch im Graben hinter dem Haus landete, der überdies vom Vorbesitzer bisweilen als Mülldeponie genutzt wurde. Die Natur hatte bereits begonnen das Gebiet zurückzuerobern, indem vor allem Efeu und Himbeersträucher sich ausbreiteten. Das bis zur Wand eingestürzte Erdreich nahm dem alten Bruchsteingemäuer des kleinen Häuschens die Luft zum Atmen – feuchte Wände und Schimmel im Bad waren die Folge.

Es musste folglich eine Lösung für die Räumung des Geländes hinter dem Haus und für die Hangsicherung gefunden werden. Allerdings gab es bloß eine einzige Zuwegung zu diesem Teil des Grundstücks, ein enger Durchlass mit einer Breite von 1,60 Meter an der schmalsten Stelle. Wir hatten uns deshalb gedanklich bereits damit arrangiert, die Steine und den Mutterboden mit schierer Muskelkraft abtragen zu müssen. Doch das Glück hat es gut mit uns gemeint, denn wir stießen mehr oder weniger zufällig auf eine Maschine, die klein, wendig und kraftvoll genug war, um den Gegebenheiten zu trotzen: unseren Mini-Minibagger, den wir liebevoll »Carlos« getauft haben.

Ein ehemaliger Arbeitskollege von Reinhard hat uns das gute, alte Stück verkauft und inzwischen hat der Minibagger uns nicht nur bei diesem, sondern noch bei vielen anderen Projekten so treue Dienste geleistet, dass wir ihn nicht mehr missen möchten. Sein Rumpf ist 76cm breit, das heißt er passt durch eine Standard-Zimmertür. Mit angewinkeltem Arm ist »Carlos« 2,50 Meter lang und verfügt über eine Knickmatik, was es ihm ermöglicht, durch das Nadelöhr von 1,60 Meter zu passen. Die 600kg Eigengewicht des Minibaggers waren zwar bisweilen etwas knapp, aber letztlich dennoch ausreichend, um die meisten der Gesteinsbrocken und die überschüssige Erde ausheben zu können. Neben »Carlos« konnten wir unseren Freund Uwe – einen begnadeten Baggerfahrer – als Unterstützung gewinnen. So gruben wir Stück für Stück den Bereich hinter dem Haus frei. Während Uwe baggerte, verlud Reinhard mit der Schubkarre die überschüssige Erde auf den Anhänger und brachte sie Ladung für Ladung zur Deponie.

Die Bruchsteine stapelten wir vor dem Haus, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu verwerten, schließlich stand zu diesem Zeitpunkt noch die Antwort auf die Frage aus, wie wir den Hang in Zukunft sichern wollen. Betonieren kam für uns aufgrund des ökologischen Fußabdrucks von Beton – selbst wenn wir Recyclingbeton verwendet hätten – nicht in Frage. Für eine Weile dachten wir über den Einsatz von Gabionen nach. Denn auch wenn dies eine kostspielige Angelegenheit geworden wäre, erschien uns Metall als Baustoff der Gitterboxen in ökologischer Hinsicht als vertretbar. Doch nachdem eine Freundin die geplanten Gabionen als »Steine in Käfigen« bezeichnet hatte, besannen wir uns wieder auf das Bestreben, die zum Einsatz gebrachten Werkstoffe möglichst naturbelassen zu verbauen. Damit war gesetzt, dass die Hangbefestigung eine Trockenmauer werden soll. Im weiteren Austausch mit anderen verfeinerte sich diese vage Idee zur konkreten Vorstellung von bepflanzten Bruchsteinterrassen, um dem Ganzen durch die in den Hang gerückte Konstruktion und das Wurzelwerk der Pflanzen zusätzliche Stabilität zu verleihen.

Nun galt es, den Plan in die Tat umzusetzen. Stein für Stein setzte Reinhard auf, Meter für Meter wuchs die Festung. Heute überbrückt sie 3,5 Höhenmeter, ist etwa 10 Meter lang und reicht 3 Meter in die Tiefe. Der Boden in Hüttingen an der Kyll ist sehr lehmhaltig, was Reinhard sich beim Bau zunutze machte: hinter der sichtbaren Steinfront hat er die lehmige Erde mit kleineren Gesteinsbrocken gemischt und stark verdichtet, um den Pflanzen das Wachsen im Hang zu ermöglichen und das Bauwerk zugleich stabiler zu machen. Noch bevor die Hangbefestigung fertig war, wanderten bereits die ersten Rosen, Kräuter und Sukkulenten in die Erde. Und auch zwei Stahlträger als Vorrichtung für eine Brücke von unserem Wohnzimmer in den Garten wurden beim Bau der Festung eingearbeitet.

Zwei Jahre nach der Fertigstellung sind wir immer noch überglücklich mit dem Ergebnis. Die Festung sieht wunderschön aus. Eine Vielfalt an Pflanzen gedeiht dort, sowohl in den Beeten als auch in den Mauerfugen. Wildbienen, Feuersalamander und andere Geschöpfe fühlen sich im Bruchsteinmauerwerk ebenfalls wohl. Überall sprießt Leben.

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